Die Wissengesellschaft

E-Mail der Büroleiterin der Bundestags-Fraktionsvorsitzenden der Grünen Krista Sager, am 21.10.03
Sehr geehrter Herr...,
vielen Dank für Ihre e-mail an Frau Sager. Sicherlich kann man über die künftige Bedeutung von Bildung geteilter Meinung sein. Wir sind jedoch der Ansicht, dass in einer Wissengesellschaft - und wir sind gerade dabei von der Industrie- zur Wissengesellschaft zu werden - Bildung für jeden einzelnen wie für die Gesellschaft als ganzes immer wichtiger wird. Wir werden nicht im Niedriglohnbereich in der Konkurrenz mit anderen Ländern bestehen können, sondern nur auf den Feldern hochqualifizierter Arbeit. Dort werden auch die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen. Dies ist nicht nur die Meinung der Grünen, sondern wird von vielen geteilt.
Mit freundlichen Grüßen
Gaby Kirschbaum
Büroleiterin der Fraktionsvorsitzenden Krista Sager

E-Mail an die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Frau Sager, am 21.10.03

Hallo Frau Gaby Kirschbaum, Büroleiterin der Fraktionsvorsitzenden Krista Sager.
Heute wie auch später verdienen die meisten Menschen - der überwiegende Teil also - immer noch ihr Brot durch ihrer Hände Arbeit; und sie haben eine Hauptschulausbildung - oder Halbgebildeten Schule hinter sich gebracht.
In der Gesellschaft, von der Sie so visionär reden und die Sie hochtrabend Wissengesellschaft nennen, ist für Menschen kein Platz mehr, die die körperliche, aber für jeden von uns unverzichtbare, dennoch geringschätzte (übrigens eine schizophrene Verhaltensweise), für uns alle erst die Lebensqualität bringende Arbeit leisten. Bestenfalls am Rande dieser Ihrer Wissengesellschaft. Nur wer diesen unsinnig aufgestellten Normen entsprechen kann, hat ein Anrecht auf ein Leben in Wohlstand und Würdigung.
Lohn - also Einkünfte - sind übrigens der Gradmesser für Anerkennung und Würdigung von Arbeit und damit des Menschen.
Traurig ist, wenn das Recht auf einen ordentlichen Lebensstandard am Begriff Bildung festgemacht wird. Was geschieht mit denen, die, wie ich, es sich schwer tun mit dem Lernen und die sich nicht immer mehr, immer höhere, wenn auch im einzelnen meist nutzlose Bildung aneignen können? Wenn es nach den Grünen geht, müssen wir Lernschwachen einen üblen Lebensstandard unabwendbar hinnehmen? Weil wir nicht so mitkönnen, soll’s uns schlechter gehen.
Gerechtigkeitserguß der Grünen Antiproleten. Apropos Proleten. Wollen wir tatsächlich eine Gesellschaft von Akademikern? Wo der eine immer alles besser wissen will als der andere? Da werden vermutlich Sie sich, verehrte Frau Kirschbaum, beim nächsten Ausfall der Heizung im Winter einen vielleicht niedlichen kalten Arsch holen.
Mir fehlt noch die Vorstellung von einem akademischen Heizungsmonteur. Aber den kreieren die Grünen auch noch.

In Niedriglohnsektoren arbeiten Ihrer Logik nach also nur die Ungebildeten und Dummen. Darum verdienen z. B. Beschäftigte in Altenheimen so wenig; und sie erfahren durch diese beschämende Entlohnung auch keine würdige gesellschaftliche Anerkennung. Und in Ihrer angestrebten Neuen Gesellschaft - von Ihnen hochtrabend Wissengesellschaft genannt - werden ausgerechnet auch die in der Altenpflege Beschäftigten keinen Anspruch auf Würdigung über den Faktor Lohn haben. Diese Arbeitnehmer vegetieren im so genannten Niedriglohnsektor. Für diese Tätigkeit ist die Wissengesellschaft nicht unbedingt relevant. Altenpflege hat zwar unbedingt auch was mit Wissen, Weiterbildung und Können zu tun, aber deren Anforderungen werden sich auch in Zukunft nicht wesentlich vom Ist-Zustand unterscheiden. Hier hilft auch kein Diplom oder Doktorhut.
Ich will's Mal auf den Punkt bringen: Wissengesellschaft ist etwas für arrogante Wichtigtuer. Tun Sie, verehrte Gaby Kirschbaum, doch bitte nicht so, als könnten künftig nur noch die Menschen der Wissengesellschaft unsere Ansprüche auf Lebensqualität zufrieden stellen. Um auch Ihre Lebensqualität sicherzustellen, bedarf es auch weiterhin des praxisbezogenen, des lebensnahen, des praktische Fähigkeiten besitzenden Proleten, ohne diese Bezeichnung abwertend zu benutzen, denn schließlich bin ich selber einer.
Ihre Partei entfernt sich immer mehr von der Basis. Ich meine hier nicht Ihre Grüne Parteibasis. Ich meine ganz einfach Ihre Lebensbasis. Das ist insbesondere das arbeitende Volk, das in Knochenmühlen, Fabriken (Förderbänder, Taktstraßen), Großraumbüros ohne Karrierechancen, im Dienstleistungsgewerbe und im Handwerk sich für Sie krumm macht. Und das auch in Ihrer Wissengesellschaft. Und genau diese Proleten sind der Niedriglohnsektor. Für "...nur auf den Feldern hochqualifizierter Arbeit." Beschäftigte soll es also ein Anspruch an angenehmer Lebensqualität geben verbunden mit hohem Lebensstandard. Geht es nach den Zukunftsvisionen der Grünen.
Ich bin sicher kein Wissensmuffel und lerne immer Mal was dazu, auch wenn’s schwer fällt. Bildung ist sprichwörtlich Macht - Aber bitte nicht gegen Schwächere. Doch bis wir Menschlein soweit gereift sind, ist es noch ein weiter Weg.

Also, Ihr Grünen: Tut mehr für die Masse der Bürger und für den schwächeren Teil davon. Die Eitelkeiten von karrieresüchtigen Einzelexemplaren sind für den Fortbestand einer funktionierenden Gesellschaft nicht wirklich relevant.

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