ARD-Monitor

12.08.04 - Politmagazin ARD-Monitor und die Moderation

Ist ein Arbeiter doof?

Sehr geehrte Frau Mitich,
Als Moderatorin von ARD-Monitor hatten Sie zu den Protestaktionen der von Hartz 4 betroffenen Menschen eine Bemerkung gemacht, die mich aufhorchen ließ. Sie nannten Losungen auf den Transparenten der Protestierer "dumme Parolen..." Mich würde interessieren, welche Parolen für Sie eigentlich dumm sind.
Es besteht für mich der Verdacht, daß sich die Moderatorin diese Disqualifizierung nur deshalb erlaubt, weil es sich bei den Demonstranten vor allem um Betroffene handelt, die, wie es dem trendigen Sprachjargon entspricht, minder qualifiziert sind und zu klugen Parolen oder gar Erkenntnissen nicht befähigt sind. Demzufolge können diese Menschen eigentlich nur dumme Sprüche klopfen, ohne tatsächlich Alternativen in Petto zu haben, wie das Sozialsystem anders als mit Hartz 4 aufrecht erhalten werden könne, so wie es seit Jahrzehnten nahezu problemlos funktioniert hat und ohne Hartz 4 auch weiter funktionieren würde.
Um geht die Sorge, als Besserverdienendes und vom Schicksal Begünstigtes Mensch mehr zur Finanzierung des Sozialstaates herangezogen zu werden. Dabei würden die Jammerlappen ihren Gürtel nicht einmal engerschnallen müssen, käme es dazu.

Jeder soziale Fortschritt während unserer Menschheitsentwicklung ist bekanntlich vor allem wenn nicht gar ausschließlich von den Arbeitern, den verachteten Proleten ausgegangen und nicht von dem sich als elitär empfindenden "Bildungsbürgertum".
Die haben sich statt dessen meist schön rausgehalten, profitierten aber nachher um so mehr von den positiven Änderungen. Diese Kämpfe wurden übrigen Klassenkampf genannt. Als Politologin dürfte Frau M. kein Problem mit dem Begriff haben. Heute ist es geradezu unanständig, dieses Wort in den Mund zu nehmen.
Kapitalismus mit menschlichen Antlitz - das ist das Ergebnis der Aktivitäten von jenen, die generell für zu dumm und unqualifiziert gehalten wurden und werden, weil sie keine akademische oder wie auch immer geartete Ausbildung absolviert haben, die mehr als den Volksschulabschluß erfordert, aber dafür unverzichtbare Tätigkeiten für uns alle ausführen, für die andere sich zu schade sind oder sich für zu wertvoll halten, in Wahrheit aber schlichtweg zu dämlich dazu sind.

Der Vorhalt "niedrige" Bildung entmündigt die Menschen und es wird ihnen arrogant jegliches Urteilsvermögen abgesprochen. Maxim Gorki hatte einmal treffend von der Universität des Lebens gesprochen. Und gerade die haben ein großer Teil der verachteten Proleten aufmerksam und kritisch absolviert und mit den daraus gewonnen Erkenntnissen und Einsichten und schließlich mit daraus abgeleiteten konsequenten Aktionen die Welt verändert.
Und diesem Teil ist unser aller sozialer Fortschritt letztlich zu verdanken. Daran sollte die Moderatorin unbedingt denken, bevor sie etwas für dumm abqualifiziert.

Diejenigen, die heute verzweifelt auf der Straße protestieren, tragen übrigens mit ihren Beiträgen in das bodenlose Loch der Öffentlich Rechtlichen Medienanstalten dazu bei, daß die Beschäftigten beim ARD und ZDF ein erbauliches Salär einstreichen; und was ihnen ein angenehmeres Leben ermöglicht, als das bei den verachteten Beziehern von "Transferleistungen" der Fall ist. Und keine Parole auf den Protestplakaten darf als "dumm" bezeichnet werden, wenn es dabei um die nackte Existenz der Betroffenen und deren Angst vor Demütigung und Entmündigung und Verzweiflung geht! Ich selbst konnte bei den TV-Berichten keine "dumme Parole" erkennen. Also, mit der Verunglimpfung von Protestparolen kann man den unverzichtbaren Widerstand gegen praktiziertes, in Gesetze gegossenes Unrecht nur schwächen. Was will diese Moderatorin also wirklich? Für wen schlägt ihr Herz?

Hartz 4 muß weg. Und die Reichen, die Wohlhabenden, die Geschonten, die Verwöhnten, die Gehätschelten, die Privilegierten müssen mehr ran - so einfach ist das!

Mir schein, daß es höchste Zeit ist, die Arbeitnehmerschaft auch dahingehend zu sensibilisieren, endlich dem Trend der Mißachtung der wie es immer öfter heißt "minder Qualifizierten", also vornehmlich nicht-akademischen Arbeitnehmer Einhalt zu gebieten. Vielleicht stünde es den Machern von Monitor gut an, dabei mitzuhelfen, das Selbstbewußtsein der weniger geschätzten Arbeitnehmer zu stärken, statt zu schwächen.
Zu bedenken wäre übrigens noch, daß die Zukunft auch für die Mehrzahl der Akademiker nicht rosig aussieht, wenn seitens der Arbeitnehmerschaft - wo auch immer - die immer deutlicher werdenden dekadenten Erwartungen des Unternehmertums und der ihnen hörigen Politiker - eigentlich die Volksvertreter - immer nachsichtiger erfüllt werden. Die sog. Elite unter den Arbeitnehmern sollte endlich erkennen und begreifen, daß sie mit den anderen, der Mehrheit der Arbeitnehmer in einem Boot sitzen. Ohne die "kleinen Leute" geht nichts, gar nichts! Und ohne die sind sie nichts.

Es kann nicht sein, daß der kleinere, sich elitär empfindende Teil der Bevölkerung in diesem Lande dem entschieden größeren Teil im Volk alle sich ergebenen Nachteile zuschiebt, während man sich selbst doch jedesmal immer nur die Rosinen dieses Gesellschaftskuchens herauspickt. Dieses merkwürdige Anspruchsdenken sollte verschwinden. Alle Menschen tragen irgendwie zum Funktionieren einer Gesellschaft bei nach dem Grundsatz: "Jeder ist des andern Glückes Schmied." (Klaus R.) Nebenbei noch was zum immer lauter werdenden Gejammer der Beitragszahler mit Job: Statt faire Auffassungen zu pflegen, unterstellt man Schmarotzertum, und Dummheit und wirft den Arbeitslosen in diesem Zusammenhang vor, sie lebten von den Beiträgen anderer. Aber offensichtlich ist man hier fähig genug zu übersehen, daß auch eine Masse anderer Menschen, die einen ganz anderen gesellschaftlichen Status haben, von diesen Beiträgen leben - nur bedeutend besser und gesellschaftlich hochgeschätzt. Also: "Herz und Verstand gehören zusammen." (Klaus R.)
Und nicht vergessen: Wie ein Blitz aus heiteren Himmel kann es jeden treffen. - Oder - Der liebe Gott wird dich im Himmel fragen: "Hast du dich auf Erden auch anständig betragen?"

Mit freundlichen Grüßen - Klaus am 13.08.04

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