Über das Vorstellungsvermögen des Bundespräsidenten

eMail an forum@phoenix.de und Gewerkschaften, SPD-Fraktion am 08.06.06

auf die (suggestive) Frage eines TV-Moderatoren an BP Köhler, warum es in Deutschland nicht gelingt, die Arbeitslosigkeit zu verringern, fiel diesem Bundespräsidenten nichts Besseres, nichts Klügeres ein, als den von Arbeitslosigkeit Betroffenen die Schuld zuzuschieben. Er meint allen Ernstes, den Arbeitslosen in Deutschland ginge es noch viel zu gut, es fehle daher der notwendige Druck auf die Betroffenen. Zudem hätten sich die Arbeitslosen in ihrer Arbeitslosigkeit gut eingerichtet.

Der Mann strahlte dabei eine nicht zu ignorierende Unglaubwürdig ab. In welcher Realität lebt Herr Köhler eigentlich. Mir scheint, alles Menschliche ist ihm fremd. Wenn dem nicht so wäre, würde er den Umstand, die Arbeitslosen hätten sich in ihrer Situation ...eingerichtet, mit menschlichem Verständnis kommentieren.
Ein ehrlicher Zeitgenosse weiß, jeder Mensch neigt schon aus seinem Selbsterhaltungstrieb heraus dazu, sich auch in den unmöglichsten, nahezu unerträglichen Situationen so einzurichten, dass er an den damit einhergehenden Belastungen und Entwürdigungen nicht zerbricht. Das tun übrigens sowohl kriminell gewordene Häftlinge in den Gefängnissen, das machen auch politische Gefangene, wenn sie von den Machthabern hinter Gitter gesteckt werden, das mussten vor allem auch die Millionen Menschen tun, die in der Nazizeit in den Konzentrationslagern schmachteten. Auch und gerade diese Menschen haben sich in ihrer alles andere als beneidenswerten Situation so gut es ging "eingerichtet". Auch ein unentwegtes Anrennen gegen die Elektrozäune hätte ihnen keine Freiheit gebracht.  Und unzählige Volksgenossen (der Mob, darunter auch Presseleute) haben ihnen höhnischerweise unterstellt, als Kz-ler hätten sie sich doch in ihren Lagern "eingerichtet". Und die Krönung der Dummheit wäre eine Schlussfolgerung wie diese: So schlimm kann das alles nicht gewesen sein, sonst hätten doch nicht so viele überlebt.
Übrigens, ich selber kriege hier den Bogen der Sprüche von "Arbeit macht frei" von damals zu "Wer arbeiten will, kriegt auch welche" von heute.

Die Arbeitslosen von heute sind inzwischen und schon längst so etwas wie Gefangene einer verfehlten, von ihnen selbst nicht zu verantwortenden und nicht verschuldeten Wirtschafts- und Sozialpolitik. Kein noch so eintrainierter Bewerbungsmarathon, keine noch so hartnäckige Penetranz gegen die Ablehnungsfront der Personalbürokraten von Unternehmen  hilft ihnen aus den Zwängen der verächtlich gemachten Sozialen Netze, vom Mob als soziale Hängematte verunglimpft. Zu ihrer Überlebensstrategie gehört nun mal die zutiefst menschliche Verhaltensweise, sich in einer eigentlich unerträglichen Situation "einzurichten". Noch haben sie das zweifelhafte Glück, es nicht auf der Ebene tun zu müssen, wie das in den Hungerregionen Afrikas, Rumäniens oder Russlands der Fall ist. Möglicherweise ist dass aber genau die Druckrichtung auf Arbeitslose, die sich der Bundespräsident offenbar wünscht.

Mit der Arbeitslosigkeit wird die deutsche Gesellschaft nicht fertig, weil die Arbeitslosen sich vehement weigern, die millionenfach doch vorhandenen Arbeitsplätze endlich anzunehmen? Was für ein Zynismus.

Wenn jemand glaubt, von den wie auch immer gearteten und wo auch immer befindlichen paar Hundert Tausend offenen aber von den Arbeitslosen aus welchen Gründen auch immer verschmähten Arbeitsplätzen schlussfolgern zu dürfen, Millionen Arbeitslose verweigerten sich, weil sie sich in ihrer Arbeitslosigkeit gut eingerichtet hätten, dann ist die Ursache für diesen Irrglauben die eigene Weltfremdheit.

Klaus, 08.06.06

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