Als meine Frau und ich mit unseren beiden Kindern in den 70.ger Jahren mit dem eigenen PKW, einem Wartburg Camping, beschlossen, an der Ostsee zwei Wochen Urlaub zu machen, ahnten wir nicht ansatzweise, welche kräftezehrenden bürokratischen Hürden auf dem Wege zu erholsamem Ferien zu überwinden sein würden. Urlaub an der Ostsee- die große Herausforderung des Glücks. Abgesehen von dem Schrecken, den das Getriebe unseres 17 Jahre alten Gefährts uns eingejagt hatte, als es sich auf dem Weg an die Ostsee kurz vor Berlin so böswillig verabschiedete und uns zwang, es in einer Berliner Werkstatt reparieren zu lassen, gab es auf dieser Hinfahrt sogar ein erstes Glücksmoment, nämlich, dass die Werkstatt tatsächlich in der Lage war, das Getriebe auszutauschen. Allerdings nicht am selben Tage. So verbrachten wir zwei Tage am herrlichen Müggelsee, in der grünen Lunge Berlins. Übernachtet hatten wir in unserem Zelt, das ja auch unsere Urlaubsunterkunft an der Ostsee sein sollte. Als wir schließlich unsere Fahrt erleichtert in Richtung Waterkant, genauer gesagt zur Insel Rügen fortsetzen konnten, war unsere Urlaubskasse erheblich schmaler geworden. Aber wir waren dennoch voller Optimismus und nahmen das bisher Erlebte mit Galgenhumor.
Wir spürten bereits die salzige Seeluft und witterten zudem noch einen Hauch unendlicher Weite, ja sogar so etwas wie Freiheit, als wir an der Küste ankamen. Zum ersten Mal erblickten wir die Ostsee, die grau und glatt vor uns lag.
Campingplatz Lobbe, Rügen - ausgebucht
Bis zum Horizont nur Wasser und Himmel; und dahinter? Altreddewitz war zunächst unser Ziel. Dort sollte es einen Campingplatz
geben. Und tatsächlich, am Bodden gelegen, breitete sich jenes Urlauberparadies über einem sanften Hügel für Camper aus, die hart im Nehmen sein mussten, nicht nur wegen des andauernden Windes, wie sich später noch zeigen sollte. Zuerst musste ein bedrohlich wirkender Schlagbaum und dann ein Anmeldemarathon überwunden werden.
Als wir endlich an der Reihe waren, wollte man eine Zelterlaubnis sehen. Zelterlaubnis? Noch nie davon gehört. Bisher ging ich davon aus, niemanden um Erlaubnis fragen zu müssen, wenn ich Urlaub an der Ostsee machen wollte, auf einem Campingplatz, ganz privat. Es stellte sich heraus, dass an der Ostsee grundsätzlich jeder Campingplatz nur eingeschränkt, eben mit einer behördlichen Zelterlaubnis genutzt werden konnte, sofern überhaupt noch Plätze zu haben waren.
Woher diese verdammte Erlaubnis nehmen? Was wir zu hören bekamen war der Hammer: Diese Zeltgenehmigung musste in einer eigens dafür eingerichteten Behörde in Rostock beantragt werden. Rostock, die Bezirkshauptstadt des nördlichen Teils des Arbeiter - und Bauernparadieses, war für die Erteilung solcher Erlaubnis zuständig für den gesamten Ostseeraum. Aber immerhin. Es hätte eben so gut Berlin sein können.
Also fuhren wir ziemlich desillusioniert nach Rostock mit der Erwartung, dort auf weitere Unannehmlichkeiten zu stoßen. Die unangenehmste davon wäre, dass wir keine Genehmigung erhalten würden. Ohne Genehmigung dürften wir an keiner Stelle am Ostseestrand jemals Urlaub machen und müßten umkehren. Unser Urlaub an der Ostsee hing also an einem seidenen, einem real-sozialistischen Faden.
In Rostock bei dieser allmächtigen Behörde angekommen, mussten wir feststellen, dass ausgerechnet in diesem Sommer noch mehr Leute die Absicht hatten, an der Ostsee ihren Jahresurlaub zu verbringen. Die Schlange, der wir uns anschließen und ausliefern mussten, wollten wir nicht vorzeitig die Heimfahrt antreten, war so lang, dass wir meinten, keinen so langen Atem zu haben, um bis nach vorne durchzuhalten. Immerhin erfuhr man ja erst dort, ob "Ostsee-Urlaubserlaubnis" oder ob nicht. Nach einpaar Stunden hielten wir doch tatsächlich diese alles entscheidende Genehmigung in Händen.
Camping in Altreddewitz am Bodden
Noch am selben Tag fuhren wir zurück nach Altreddewitz auf den Campingplatz, um uns dort anzumelden und häuslich niederzulassen. Häuslich niederlassen? Weit gefehlt. Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass der Platz bereits ausgebucht war. Unsere Nerven lagen blank. Ein Urlauber, der unsere Verzweiflung mitbekommen hatte, nahm ganz persönlichen Anteil daran. Er bot uns an, uns in seiner Parzelle ein Plätzchen für unser kleines Zelt zu überlassen, bis wir in den nächsten Tagen eventuell einen eigenen Platz ergattern würden, wobei er uns seiner Unterstützung versicherte. Wir nahmen sein überaus freundliches Angebot dankbar an und bauten uns ein kuscheliges Nest hart am Wind. Endlich Urlaub an der Ostsee, eigentlich mehr am Bodden. Und es wurden schöne Tage in Altreddewitz und ein Wechselbad der Gefühle.
Einen Tag vor unserer Heimreise wollten wir noch nach Zingst und uns dort ein wenig umsehen. Ein Zeltplatz war nicht drin, aber ein einsamer Parkplatz an der Strecke lud uns ein, dort die Nacht zu verbringen. Der Wartburg war dafür vorbereitet, Scheibengardinen rundum, Liegesitze vorn und Platz für die Kinder im hinteren Bereich des 311-er Camping. Eigentlich ganz bequem, mit unseren damaligen Maßstäben gemessen. Kaum das wir eingeschlafen waren, wurden wir durch Geräusche von draußen geweckt. Irgendwer, irgendwas schlich um unser Auto. Dann klopfte jemand erst an das Autoblech, dann an die Scheiben. "Machen Sie sofort auf!" rief eine männlich Stimme, deren Slang mir irgendwie geläufig war. Eine leise Ahnung hatte ich in diesem Moment bereits. Und siehe da, als ich die Scheibe herunterleierte und durch den Spalt nach draußen lugte, sah ich in das beinahe schon intelligent wirkende Gesicht eines Deutschen Volkspolizisten. Und sein Besitzer forderte mich auf, den Personalausweis vorzuzeigen und die so bedeutende Zeltgenehmigung. Hier an dieser Stelle sei das Übernachten grundsätzlich verboten, belehrte uns eine Stimme im Hintergrund. Wir befänden uns doch im Grenzgebiet, sollten wir wissen. Der ganze Ostseestrand war Grenzgebiet. Hier endete sozusagen die paranoide DDR, jedenfalls für den Normalbürger. Und Volkspolizisten? ... Zählten zu den Hütern der Friedhofsruhe in der Heimat der Menschenrechte. Wir wurden noch daraufhin kontrolliert, ob wir etwa ein Schlauchboot oder einen ähnlichen schwimmtauglichen Untersatz dabei hatten. Fluchtgefahr. Nach einer Leiter wurde nicht gefragt. Die hätten wir sicher gebraucht, wenn wir in Berlin über die Mauer hätten klettern wollen. Und auf die Idee, bei unserem Wartburg könnte es sich um ein hochseetüchtiges Vehikel handeln, ist auch keiner gekommen. Eine Leibesvisitation ist uns immerhin erspart geblieben. Aber wir kamen uns trotzdem schon so vor, als hätten wir etwas verbrochen.
Die Urlaubsstimmung war getrübt. Das sollte auch nicht besser werden, als wir hoffnungsvoll in der Stadt Zingst ankamen, wo wir zu Mittag essen wollten. Was lag näher als in das Restaurant "Gastmahl des Meeres" einzukehren, welches gerade hier im Norden, bei den "Fischköppen", Sinn machte. Unsere Vorstellung, genau da die lukullischsten Fischgerichte serviert zu bekommen gipfelte im Erstaunen darüber, in dem Gasthof noch reichlich freie Plätze vorzufinden, Das war in unserer Heimatstadt Görlitz, wo es ja auch ein "Gastmahl des Meeres" gab, ganz anders. Dort musste sich in eine lange Schlange einreihen, wer die Absicht hatte, dort zu essen. Und hier, in Zingst? Keine Schlange vor der Türe, kein Andrang im Restaurant. Ein nahezu menschenleerer Gastraum zur Mittagszeit? Warum das so war, sollten wir auch gleich erfahren. Die Bedienung eröffnete uns sogleich, dass die in der Speisekarte in Aussicht gestellten Fischgerichte gerade nicht zu haben wären. Aber wir könnten dennoch etwas Fisch mit Pellkartoffeln haben. Um welchen Fisch es sich dabei gehandelt hatte, meine Erinnerung gibt’s einfach nicht mehr her.
Bei einem anschließenden Bummel durch Zinks sind wir mit einigen Urlaubern aus den FDGB-Ferienheimen zusammen und ins Gespräch gekommen. Die beklagten sich bitterlich darüber, nicht auch im selben Haus, wo sie ihr Urlaubsdomizil hatten, ihre Mahlzeiten einnehmen zu können. Selbst das für einen angenehmen Tag soviel entscheidende Frühstück nicht. Auch dazu mussten sie erst einige Straßen weiter in eine dafür vorgesehene Einrichtung laufen. Jeden Tag. Bei jedem Ostseewetter. Das war unser beeindruckender Urlaub an der Ostsee - eines der beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen in der DDR.
Veteran Counter
16.12.08